
Der tschechische Theologe Tomáš Halík ist seit seinem ersten auf Deutsch erschienenen Buch „Geduld mit Gott“ (2010) inzwischen auch bei uns bekannt geworden. In der Auseinandersetzung des christlichen Glaubens mit den Strömungen der Gegenwart hat er sich bereits mehrfach als ungewöhnlich schöpferischer Denker erwiesen. In seinem neuesten Buch beleuchtet er die Hoffnung, eine der vom Apostel Paulus genannten drei christlichen Grundtugenden. Im Vergleich zu den beiden großen Schwestern Glaube und Liebe scheint die Hoffnung auf den ersten Blick etwas weniger bedeutsam zu sein, doch Tomáš Halík sieht gerade in ihr den Schlüssel, der dem modernen Menschen die unzugänglich gewordenen Schätze des biblischen Glaubens wieder aufschließen könnte.
Allerdings versteht Halík die Hoffnung keineswegs nur als Ersatzfunktion für einen verloren gegangenen Glauben, vielmehr als diejenige Grundhaltung, die den Glauben immer begleiten sollte – denn sie richtet sich auf etwas, das jedenfalls noch nicht vollständig da ist. Gott ist in dieser Welt nicht völlig evident, er will es auch nicht sein – damit der Glaube an ihn ein Akt der freien Zustimmung sein kann. Trotzdem ist er immer schon da, selbst an den absoluten Nullpunkten der Hoffnung (auch noch in Auschwitz: als Gottes Gebot „Du sollst nicht töten“).
„Nicht ohne Hoffnung“– der Titel des Buches klingt selbst nicht allzu zuversichtlich, gerade in dieser Formulierung wird aber deutlich, worin der Autor das Wesen der Hoffnung sieht, die eben nicht optimistisch ist – weil sie das angesichts der Realität nicht in glaubwürdiger Weise sein kann –, die aber selbst da noch Kraft zu entfalten vermag, wo eigentlich alles gescheitert und vergebens erscheinen mag.
Halík sieht die Gegenwart als nicht mehr vom Fortschrittsglauben des 20. Jahrhunderts erfüllt an, er nennt sie darum postoptimistisch; in einer Gesellschaft, die dem wirtschaftlichen Wohlergehen den größten Wert beimisst, haben Finanz- und Wirtschaftskrisen ihre Spuren hinterlassen. Aber noch gefährlicher als der Optimismus, der zu viel verspricht, ist der Pessimismus, der lähmt und den Kampf gegen das Schlechte und das Böse verweigert. Im Gegensatz dazu gehört es zum Wesen der Hoffnung, die Krise der Gegenwart auch als Chance zu sehen – nicht dabei stehenzubleiben, ständig nur zurückzuschauen und zu fragen, wie es so weit kommen konnte. Wer nur dem Vergangenen nachtrauert, erstarrt wie Lots Frau zur Salzsäule.
Die Krise des christlichen Glaubens in der Moderne auch als Chance zu begreifen – dazu gehört nach Halík auch zu sehen, dass in der Gestalt der Hoffnung der Glaube (und Gott selbst) gerade im Leben der Ungläubigen anwesend sein kann. Es bedeutet auch zu begreifen, dass der wahre Ort des Glaubens nicht das Wunder ist, sondern die Abwesenheit des Wunders. Gott verbirgt sich in der Ambivalenz unserer Welt, aber in dem nicht auszuschließenden „Vielleicht“ liegt nicht nur der Zweifel begründet, sondern ebenso auch Hoffnung.
Am radikalsten zeigt sich das für Halík im Buch Ijob. Für das Leid, das er ertragen muss, erhält Ijob im Gespräch mit Gott keine Erklärung, und doch wird für ihn durch dieses Gespräch klar: Gott ist der Kontext unseres menschlichen Lebens und des großen Dramas der Geschichte und der Natur; wir können über diesen Kontext aber nicht verfügen. „Gott, jener geheimnisvolle Kontext unseres Lebens, ist uns nur als Gegenstand der Hoffnung gegeben.“ (S. 185)
Die christliche Hoffnung besteht letztlich in der Hoffnung auf die Auferstehung, und diese stützt sich auf den Glauben an die Auferstehung Christi. Die Auferstehung ist allerdings nicht zu haben ohne das Kreuz. Das Kreuz im eigenen Leben anzunehmen, es jedoch im Hinblick auf die Auferstehung hin zu deuten, dazu befähigt uns gerade die Hoffnung. Halík vergleicht das Verhältnis von Glauben und Hoffnung mit einem Bild aus dem Evangelium: Wie beim Lauf der Apostel Petrus und Johannes zum leeren Grab überholt die Hoffnung zunächst den Glauben, um ihm dann Platz zu machen.
Auch das neue Buch von Tomáš Halík ist wieder derart übervoll an interessanten Analysen, klugen Überlegungen und überraschenden Perspektiven, dass man auch nicht einen kleinen Teil dieses Reichtums anzudeuten vermag. Man kann seine Bücher gar nicht genug empfehlen. (Sankt Michaelsbund)
Als „Religiöses Buch des Monats“ benennen der Borromäusverein, Bonn, und der Sankt Michaelsbund, München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung, die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.
Tomáš Halík: Nicht ohne Hoffnung.
Herder Verlag, 2014.
254 Seiten