
Ab Mitte Oktober, wenn die ersten Lebkuchen im Supermarkt verkauft werden, rüstet die Geschäftswelt für das Weihnachtsgeschäft auf und man kommt langsam in Weihnachtsstimmung.
Weihnachten? Was verbinden wir eigentlich mit diesem, zu unserem Leben gehörenden Fest? Viel gescholten wegen seiner Verkommerzialisierung und doch irgendwie herbeigesehnt. Brauchen wir es nicht unbewusst, trotz Rummel, Kitsch und Hektik?
Weihnachten? Ein Thema für die Schule? Ich mache mir Gedanken und fange schon nach Allerheiligen mit den Vorarbeiten an. Was verbinden gerade Schüler mit dem Fest, wenn Erwachsene damit schon Schwierigkeiten haben?
Als Einstieg in die Unterrichtsreiche ein Brainstorming - „Weihnachten“ - spontane Schüleräußerungen. Die Wortmeldungen kommen erfreulich häufig: Ferien, Weihnachtsmann, Familie, Geschenke, Glühwein, Tanne, Stress...
Als Religionslehrer bin noch nicht zufrieden. Aber spiegelt das, was an der Tafel steht, nicht die Lebenswelt der Schüler wieder, letztlich unser aller Realität? Sollte da nicht noch mehr kommen?
Mein gezieltes Nachfragen bringt die Schüler weiter „War da nicht etwas mit Jesus?“ - eine verschämte Frage. Schnell ist man sich einig: An Weihnachten feiern wir die Geburt Jesu.
In den nächsten Stunden versuchen wir Antworten auf die Frage nach Weihnachten zu bekommen, indem wir die biblischen Texte exegetisch hinterfragen und uns auf wenige Aspekte konzentrieren. Die Antworten wollen wir von verschiedenen Personen bekommen, die in der Weihnachtsgeschichte eine Rolle spielen.
Nach dem vergleichenden Lesen der Evangelien von Matthäus und Lukas (zum Erstaunen der Schüler berichten nur diese beiden Evangelisten von der Geburt Jesu) stützen wir uns vor allem auf Lukas. Seine Weihnachtsgeschichte kommt dem Weihnachtsbild der Schüler und wahrscheinlich dem der meisten von uns wohl am nächsten. Wenigstens er spricht von der schwangeren Maria, von der Geburt, der Krippe und den Hirten. Aber Ochs und Esel, die Tannenbäume, der Schnee, all diese Dinge, die wir mit Weihnachten verbinden, fehlen. Auf meine Frage nach dem „Warum“ meint ein Schüler ganz richtig, das läge daran, dass dies für die Geburt und deren Bedeutung eher nebensächlich sei. Da die Geburt Jesu aber weder protokolliert noch gefilmt und erst viele Jahre nach seinem Tod aufgeschrieben wurde, von Menschen, die mit ihrem Evangelium ihren Glauben weitergeben wollten, müssen wir uns fragen welche Glaubensinhalte die Weihnachtsgeschichte vermitteln will.
Bei Lukas stellen wir fest, dass er zuerst das erzählt, was schon immer wichtig war und bleiben wird: Das Kind wird das Leben der Eltern verändern, die Eltern lieben ihr neugeborenes Kind, sie wickeln es und wollen es warm halten. Ja, Lukas erzählt sogar zwei Mal, dass Jesus „in Windeln gewickelt“ wurde (Lk 2,7.12).
Ein Kind wie jedes andere Kind also? Ja, aber Lukas spricht auch davon, dass dieses in Windeln gewickelte Kind ein Zeichen sein soll. Ein Zeichen, ein Hinweis darauf, dass Gott in dem Neugeborenen Mensch wird - ein Mensch mit allem was zum Menschsein da zugehört, eben auch den Windeln in den ersten Lebensjahren.
Gott will das Leben der Menschen von Grund auf ändern, denn er ist nicht der transzendente, weit über uns thronende Gott, sondern der Gott, der mitten unter den Menschen ist. Er weiß, was es heißt in der Welt zu leben. Er ist der, der die Menschen etwas angehen will, der ihnen etwas bedeuten will. Gott begegnen kann man im ganz normalen Alltag, man muss ihm nur den Raum dazu geben. Und wenn Gott in dem Kind die Zusage gibt in Freud und Leid mit den Menschen zu sein, dann darf sich der Mensch auch darauf verlassen.
Um diesen Gedanken der Weihnachtsgeschichte deutlicher zu machen, habe ich mit den Schülern orthodoxe Weihnachtsikonen betrachtet und analysiert. Oberflächlich betrachtet wird auch hier das in Windeln gewickelte Kind in der Krippe entdeckt. Beim näheren Hinsehen aber wird deutlich, dass das Kind keine Windeln trägt, sondern dass es in Leichentücher gewickelt ist 1. Für viele eine ganz andere Sicht der Weihnachtsgeschichte. Die Geburt Jesu steht in den Weihnachtsikonen bereits in Beziehung zu seinem Tod. Gott durchlebt und durchleidet mit den Menschen ihren ganzen Alltag, ihr ganzes Leben.
Dieser den Menschen so nahe Gott wird zuerst den Hirten verkündet, den Menschen, die am Rande der Gesellschaft lebten. Hirte sein war kein angesehener Beruf, denn weder war man reich noch hatte man ein ständiges Zuhause. Man lebte ohne Heimat mit seinen Schafen auf dem Feld. Und diese Menschen bekommen nach Lukas als erste die „frohe Botschaft“ von der Menschwerdung verkündet.
Welche Botschaft macht solche Menschen froh, das haben wir uns in der Klasse gefragt? Wir mussten erkennen, dass wir daran nicht als erstes gedacht hätten.
Lukas zeigt, dass die froh machende Botschaft eine Botschaft des Herzens ist - zu erkennen, dass Gott bei den Armen ist, dass er ihnen eine Stimme gibt. Gottes Liebe braucht sich der Mensch nicht zu verdienen, sie ist einfach da, sie nimmt den Menschen als Mensch ernst. Dieser Gott lässt sich im Vertrauen finden und verändert das gesamte Leben - so wie das „Kind in der Krippe“ das Leben all derjenigen verändert hat, die sich auf es eingelassen haben.
Egal von welcher Seite her man das Weihnachtsfest betrachtet, es ist das Fest der Liebe. Nicht nur das Fest der Geschenke, die so oft nicht mehr ein Zeichen der Liebe sind sondern nur noch ein Brauch, für viele sogar eine Qual, da sie sich nicht die Zeit nehmen wollen um darüber nachzudenken was der geliebten Person denn nun wirklich Freude bereiten würde. Weihnachten ist das Fest des Liebens, aber zuallererst das Fest des Geliebt-werdens. Eine Liebe, die alles verändert und die die Menschen in guten wie in bösen Tagen, in Glück und Leid, in Schuld und Tod tragen kann.
In diesem Sinne wünschen wir uns alle eine gesegnete Weihnacht mit dem Gott, der nicht nur an den Festtagen präsent ist, sondern der den Menschen, die sich auf ihn einlassen, Liebe und Hilfe fürs ganze Leben versprochen hat.
Was gibt es Schöneres als sich geliebt zu fühlen? Ein Gefühl, dass uns vom ersten bis zum letzten Moment unseres Daseins begleiten möge.