Quantcast
Channel: Service Kommunikatioun a Press - Bistum Lëtzebuerg
Viewing all articles
Browse latest Browse all 10411

Interview mam Julien Braun

$
0
0

ADVENIAT Lëtzebuerg unterstützt die Pfarrei «Santo Cura de Ars» in Santiago de Chile in ihren pastoralen und sozialen Aufgaben. Der Luxemburger Herz-Jesu-Pater Julien Braun, der schon seit vielen Jahren in Chile lebt und wirkt, gibt uns Erklärungen und Einblick in das tägliche Leben der Pfarrei.

Julien Braun, sie leben seit 42 Jahren in Chile. Was hat sie damals zu diesem Entschluss bewogen?
Während meiner Theologiestudien ist in mir der Wunsch gereift, „in die Missionen zu gehen“; besonders Südamerika zog mich an, wo die Kirche sich nach dem II. Vatikanischen Konzil und nach „Medellín“ als sehr dynamisch und hoffnungsvoll zeigte. Da dieser Kontinent beständig unter Priestermangel litt, wollte ich mich dort einsetzen als „Hilfe für die lokale Kirche“. Ich dachte an Chile, weil die chilenische Kirche sehr stark mit der Bevölkerung engagiert war und weil unsere Kongregation dort schon seit ein paar Jahrzehnten tätig war.

42 Jahre sind eine lange Zeit, welche Veränderungen fallen ihnen in Chile besonders auf, wenn sie das Chile von heute mit dem von vor 40 Jahren vergleichen?
Im Allgemeinen, hat das ganze Land einen größeren Wohlstand erreicht; es gibt jetzt andere Gesichter der Armut. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist viel tiefer geworden, wir sprechen hier von „skandalösen Ungleichheiten“. Die allgemeine Mentalität ist mehr auf Konsum orientiert, die Leute sind individualistischer geworden, und das Gefühl der Solidarität ist stark geschwächt. Die Mentalität der liberalen Marktwirtschaft hat in allen Schichten der Bevölkerung ihre Spuren hinterlassen: Konkurrenzmentalität, Effizientismus, alles wird nach der Rentabilität bewertet...

Von 1973 bis 1990 lebte Chile unter der Diktatur von Augusto Pinochet, wie hat das Land sich seit dem Ende der Diktatur entwickelt?
Die Demokratie hat sich gefestigt, aber erstaunlicherweise sind verschiedene Entscheidungen der liberalen Marktwirtschaft auch unter demokratischen Regierungen nicht rückgängig gemacht worden, z.B. im Gesundheitswesen, im Schulwesen und anderen öffentlichen
Bereichen, wo das meiste in private Hände gekommen ist, mit der dazugehörigen Profitgier.

Julien Braun, welche Aufgaben habe sie heute?
Seit Februar dieses Jahres bin ich wieder Vikar in der Pfarrei „Santo Cura de Ars“ die unsere Kongregation vor 37 Jahren übernommen hat. Als Hauptaufgabe bin ich für die Katechese verantwortlich und für die Bildung der „Ministros“ d.h. jener Laien und „Laiinnen“, die in den Pfarreien hier in Chile ein offizielles Amt ausführen, z.B. Wortgottesdienste leiten, in der Krankenseelsorge tätig sind...

Welche Bedürfnisse haben die Menschen mit denen sie arbeiten und welche Rolle spielt der Glaube in ihrem Leben?
Die Liste der Bedürfnisse wäre sehr lange, aber hauptsächlich kann man sie zusammenfassen in folgende Sparten: Zugang zu einer würdigen Betreuung im Gesundheitswesen, in der Schulbildung und zu einer günstigen und würdigen Wohnung, sowie der Altersversorgung: das ganze Pensions- und Rentensystem liegt in Händen von Privatkassen. Das sind die Bedürfnisse auf sozialer und materieller Ebene. Aber die allermeisten sehnen sich auch nach mehr Anerkennung ihrer Würde als Mensch und als Person, nicht nur als Produktions- und Konsumfaktor. Besonders die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen fragen mehr und mehr nach dem Inhalt und dem Sinn des Lebens: viele spüren eine große Leere in sich die sie beängstigt. Es ist z.B. beunruhigend dass Chile weltweit eine der höchsten Selbstmordquoten unter Jugendlichen und jungen Leuten aufweist.
In diesem Kontext spielt der Glaube für die Menschen eine wichtige Rolle: die persönliche Verbindung mit Jesus Christus gibt ihrem Leben Sinn und Inhalt. Der Glaube führt sie dazu, sich zusammen mit andern, also in Gemeinschaft, zu engagieren, um das Leben und die Gesellschaft menschenwürdiger und gerechter zu gestalten. Der Glaube leitet sie notgedrungen dazu, die Werte des Reiches Gottes in den Situationen des täglichen Lebens zu verwirklichen.

Wie können wir uns die Mitarbeit der Laien in der chilenischen Pastoral vorstellen? Kann man die Situation mit der in Luxemburg vergleichen?
Hier in Chile, wie übrigens in ganz Südamerika, spielen die Laien und „Laiinnen“ eine sehr große Rolle in der Kirche; sie übernehmen große Verantwortungen in den Pfarreien, aber auch auf Diözesan-Ebene. Und das nicht nur wegen des chronischen Priestermangels hier in Lateinamerika, sondern kraft der Sendung die aus ihrer Taufe entspringt. Unsere Laien arbeiten kollegial mit dem Team der Priester in der Leitung der Pfarreien (Pfarr-Rat, Finanzkommission), übernehmen direkt pastorale Verantwortungen (z.B. Gemeindevorsteher, Leiten der Wortgottesdienste, Krankenpastoral...) und sind auch tätig in den sozialen Diensten, die die Pfarrei ständig unterhält: z.B. Obdachlosenpastoral, Komitees für Sozialwohnungen, Unterstützung der Arbeitslosen, Bildungskurse für alleinstehende Frauen...
Das Wirken der Laien (sowie auch der Priester) ist stark geprägt durch die religiöse und soziale Wirklichkeit, die hier in Lateinamerika herrscht. Die Kirche hier ist schlicht nicht denkbar ohne den Einsatz unserer Laien. Wegen dieser Besonderheit ist die Arbeit der Laien nur bedingt vergleichbar mit ihrem Wirken in der Kirche in Luxemburg.

Wie geht die Pfarrgemeinschaft Santo Cura de Ars mit der Armut eines Teils ihrer Mitglieder um?
Wir arbeiten hier an zwei Fronten. Zum einen versuchen wir, wenn es darauf ankommt, die direkte Not zu lindern. Unsere freiwilligen Sozialhelfer(innen) haben stets Kontakt zu den Familien in ihrer Umgebung, so dass sie die sozialen Notstände mitteilen können. Monatlich verteilen wir ungefähr 80 Hilfspakete an die Familien, die in Not sind: diese Pakete enthalten unverderbliche Lebensmittel. Auch haben wir in der Pfarrei einen Kleiderbestand, aus dem den Notleidenden geholfen werden kann. Die Nahrungsmittel und die Kleider kommen aus Spenden, die die Leute in jede Sonntagsmesse oder –Liturgie mitbringen und die dann sortiert und verteilt werden. Daneben haben wir andrerseits auch freiwillige professionelle Mithelfer, die unsere Leute in verschieden Situationen beraten und ihnen helfen können, z.B. Anwälte, Psychologen, Krankenschwestern usw...

Können sie uns Genaueres über die „Escuela para la vida“ sagen?
Es handelt sich um Kurse die organisiert werden, damit die Leute „auf eigenen Füssen“ stehen können. Sie sind hauptsächlich als Hilfe gedacht, damit eine Person sich selbständig durchschlagen kann, indem sie eine Tätigkeit erlernt. Diese Kurse sind besonders bestimmt für alleinstehende (oder getrennte oder geschiedene) Frauen, die ganz auf sich allein gestellt sind. Mit dem Erlernen eines Berufes können sie dann auf menschenwürdige Weise ihren Unterhalt verdienen. Aber auch Menschen, die plötzlich von ihrer Arbeit entlassen worden sind, haben hier eine Gelegenheit eine Tätigkeit zu erlernen die es ihnen ermöglicht, ihren Unterhalt zu bestreiten und so ihre Würde zu bewahren.

Welche Anliegen haben besonders ältere Menschen ihrer Gemeinschaft?
Die größte Sorge der älteren Menschen ist, neben dem Alleinsein, hauptsächlich die Gesundheit. Die Renten und Pensionen sind so niedrig, dass es unmöglich ist, die Medikamente zu kaufen, die sie mit steigendem Alter immer mehr benötigen. Die älteren Leute fühlen sich von der Gesellschaft verlassen und sogar verstoßen, denn sie können ja nicht mehr produzieren und praktisch auch nicht mehr konsumieren, da ihre Rente kaum zum Überleben reicht. Sie fühlen sich oft „inútiles“ und ein Hindernis. Unsere Gesellschaft muss wieder lernen, den Menschen als solchen zu schätzen, und nicht nur nach seiner Produktions- oder Kaufkraft.
Julien Braun, wir danken ihnen herzlich für diesen ergreifenden Einblick in den chilenischen Alltag!

ADVENIAT Lëtzebuerg unterstützt die Pfarrei Santo Cura de Ars in:

  • Der Ausbildung der Katecheten und Laien/ « Laiinnen » der Pfarrei.
  • Der pastoralen Jugendarbeit, vor allem der Organisation von Exerzitien für Jugendliche und Vorbereitungstage zur Firmung.
  • Die Escuela para la Vida, die es Frauen in schwierigen Situationen ermöglicht, eine Ausbildung zu absolvieren und so die nötigen Fähigkeiten zu erlangen, um einen Beruf auszuüben und damit ihre Familie zu ernähren.
  • Die Betreuung der älteren Mitmenschen der Pfarrei.
  • Die pastoralen Sendungen des Pfarreiradios.

Im Namen der Menschen in Santiago de Chile bedanken wir uns herzlich für Ihre Spenden bei ADVENIAT Lëtzebuerg: CCPL LU67 1111 1314 8752 0000.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 10411