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Channel: Service Kommunikatioun a Press - Bistum Lëtzebuerg
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Es geht nicht mehr um eine Erfolgsgeschichte

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Joh 15,1-8

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“ Joh 15,5a

Diese bange Frage kennen wir alle: Wie kann Leben, mein Leben, gelingen? Anders ausgedrückt: Wie kann mein Leben Früchte tragen? Was macht mich zu einem „fruchtbaren“ Menschen?

Bange Frage deshalb, weil wir, wenn wir uns diese Frage stellen, die Augen vor dem Leben, unserem Leben, so wie es ist, nicht verschließen können. Frucht bringen, etwas bewirken und bewegen in diesem einen Leben, das wir haben, gestalten, schöpferisch sein, vielleicht gar bedeutsam – die Messlatte, was gelingendes Leben angeht, ist heute doch sehr hoch angelegt. Mit den wachsenden Möglichkeiten, etwas aus sich und seinem Leben zu machen, steigt auch der Druck, wie man vor sich und anderen bestehen kann, wenn alle Bemühungen nichts oder nur wenig „gefruchtet“ haben. Mag sein, dass dieser Druck, diese Selbstüberforderung, ein Stoff ist, aus dem Depressionen gemacht sind. Das überforderte Selbst bringt oft Höllenqualen hervor, die mittelalterliche Drohszenarien blass dastehen lassen.

Zumal als Frau bin ich mehr als froh über die errungene Möglichkeit, mein Leben frei zu gestalten und nicht auf die eine Form der Fruchtbarkeit festgelegt zu sein, die da heißt, möglichst viele Kinder zu gebären und so einen sicheren Platz in der Gesellschaft und im Leben zu haben. Traditionelle Gesellschaften kannten viele solcher Festlegungen. Die Frage, welche „Frucht“ jemand bringen wollte, kam kaum vor und um den Preis der sicheren Ordnung auch keine Freiheit. „Früchte bringen“ ist vielfältiger und bunter, aber auch komplizierter und gefährdeter geworden.

Im Johannesevangelium lesen wir: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“ Sich auf diesen Satz einlassend verändert sich die Blickrichtung. Die Frage, was wir alles tun müssen, um „fruchtbar“ zu sein, wird unwichtig. Es geht nicht mehr um eine Erfolgsgeschichte oder gar eine Anleitung zum Erfolg, zum möglichst reichen Profit. Sondern es geht um eine Geschichte inniger Verbindung, um eine Beziehungs-, ja, um eine Liebesgeschichte, aus der heraus, wie auch immer, das Leben gelingen, Früchte tragen wird: „Wenn ihr in mir bleibt und wenn meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten.“ Joh 15,7

In Anna Seghers großartigem Roman „Transit“ (1951), der von verzweifelten Menschen erzählt, die auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Marseille gestrandet sind, sagt ein Arzt, selbst Flüchtling, skeptisch auf seine Heilfähigkeiten angesprochen, es „bleibe etwas, vielleicht das Wichtigste, was aber kaum zu erklären sei, etwas, was weder von seinem Kranken abhänge noch von ihm selbst, sondern von der ewig gegenwärtigen Fülle alles geliebten Lebens.“ Das klingt fast johanneisch.

(Die Autorin ist Religionslehrerin an der Privatschule Fieldgen.)


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